Werkstadt Graz

ALEXANDRA HAMMOND

Leaving is the Best Point of View

Eröffnung: 25.  Oktober 2016, 19 Uhr

Einführung: Mag. Sabine Hirzer

GRAZ KUNST, Sporgasse 20, A-8010 Graz

 

Alexandra Hammond

lebt und arbeitet in New York City.

Alexandra Hammonds Ausstellung ist Teil des WERKSTADT GRAZ Projekts KLEIDERWERK und entsteht in Kooperation mit Sabine Flach, KFU Graz, Institut für Kunstgeschichte.

 

LEAVING IS THE BEST POINT OF VIEW

Alexandra Hammonds zweiteiliges Projekt Leaving is the Best Point of View besteht aus Leaving, einer Aktion, die im privatisierten Verkaufsraum von Textilkettenläden stattfindet, und The Best Point of View, einem säkularen Requiem auf das Ideal vollkommener Ganzheit.

Das Projekt ist von Marc Augés Theorie der „Nicht-Orte“ inspiriert, insbesondere von dessen Reflexionen zu Tourismus und Francois-René de Chateaubriands Reisenotizen aus der Zeit der Romantik. Augé zufolge steht Chateaubriands Sublimierung des Orts zum Bild für die Subjektivität der Moderne: „Der ideale Standort – ideal, weil er der Entfernung die Bewegung hinzufügt – ist an Deck eines Schiffes, das die Küste hinter sich läßt.“1

Die Erde als Ganzes wurde Ende der 1960er Jahre in den Bildern des NASA-Satelliten ATS-3 sichtbar, die eine vollkommen runde „blaue Kugel“ zeigten. Und doch konnte diese Aufnahme des scheinbar friedlichen Planeten nur im luftleeren Exil des Alls entstehen. Physische Distanz als Voraussetzung für den perfektionierten Blick spielt in der Wissenskonstruktion des Westens eine zentrale Rolle. Diese Suche nach Ganzheit, nach dem perfekten Blick, macht uns blind für das produktive Potential vielfältiger und widersprüchlicher Formen des Wissens.

Der Vorgang des Weg- oder Vorbeigehens erlaubt es uns, einen Ort in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Wenn wir uns an einem Ort (sei es eine Landschaft, sei es ein Gebäude) befinden, so ist unser Blick durch dessen Horizont begrenzt: durch das Dach der Gebäude, durch die Wände und Decke des Raums, in dem wir uns aufhalten. Zwar können wir die Vogelperspektive im Geist heraufbeschwören oder konstruieren, doch von unserem Standpunkt aus ist sie unsichtbar.

Sinn und Zweck eines Markenladens ist es, die Käufer von ihrer spezifischen Erfahrung des Ortes (Auswählen, Kalkulieren, Abwägen zwischen Gebrauchswert einerseits und Haptik, Passform und Begehren andererseits) zu distanzieren. Stattdessen sollen sie sich mit der durch die ausgestellten Waren verheißenen Vorstellung von harmonischem Stil und ultimativem Glück verbinden. Selbstverständlich ist dieses Image durch Klassen-, Rassen-, Alters- und Geschlechtsnormen gekennzeichnet, doch das Ziel ist das Ausblenden der Realität (von wem wurden die Waren wo, wie und warum produziert?). Die Geschichte des Materials wird ebenso negiert wie jene des Arbeitsprozesses, um das ungestörte „Jetzt“ des Verkaufs sicherzustellen.

Leaving als Experiment, das auf die Störung dieses Verkaufsflusses abzielt, umfasst die Gestaltung und Herstellung von Kleidungsstücken. Diese werden anschließend in Einzelhandelsgeschäften zwischen den übrigen Waren zurückgelassen. Kleine Graphitzeichnungen auf Papier ersetzen Etiketten mit Angaben zu Preisen und Kleidergrößen.

Welchen Status hat ein zurückgelassenes Objekt, dessen Wert nicht durch Preisschilder quantifiziert wird und das nicht mittels Strichcode im Lagerbestand verzeichnet ist? Wenn im System des Kapitalismus Diebe als Kriminelle gelten, welche Rolle spielen dann Menschen, die etwas Unverlangtes geben? Sie sind – in gewisser Weise – Imageverderber und Markenblasphemisten.

Leaving wird ergänzt durch die ortsspezifische Installation The Best Point of View, bestehend aus einem Video-Painting und einer Wandzeichnung. Road Trip Toile de Jouy zeigt die Vignette einer entschwindenden Familie, die an ein traditionelles Toile-de-Jouy-Stoffmuster erinnert, wobei sich wiederholende pastorale Szenen eine Vielzahl an idealisierten Miniaturwelten schaffen.

Leaving is The Best Point of View inszeniert die Preisgabe physischer Objekte sowie das Zurschaustellen sich auflösender Bilder und drückt so das Spannungsfeld zwischen schmerzlicher Entwurzelung einerseits und der leidenschaftslosen Perfektionierbarkeit des distanzierten Blicks andererseits aus.

Alexandra Hammond lebt als interdisziplinäre Künstlerin, Autorin und Designerin in Brooklyn. Ihre Arbeit verbindet figurative Malerei und Zeichnung mit Installationen, Performances und Narrativen.

  1. Marc Augé, „Orte und Nicht-Orte“, 1994, S. Fischer Verlag, S. 105

 

WERKSTADT GRAZ / GRAZ KUNST
Sporgasse 20, A 8010 Graz

Ausstellungsdauer: 26.10. – 19.11.2016

Öffnungszeiten: Di-Fr 10-13 und 14-18 Uhr,
Sa 10-13 Uhr und nach Vereinbarung

 





Fotos: Croce & WIR